Mäander 

Das Wort Mäander und dessen Ursprung

Was versteht man überhaupt unter "Mäander"? Eine griechische Legende erzählt folgendes: "Der Flussgott Mäander war der Vater der Samiak, die Ankaios heiratete, den König der Insel, die ihr zu Ehren Samos genannt wurde. Der gewundene Lauf des Flusses war der Ursprung des Wortes `Mäander`.

Im Lexikon (das neue Duden Lexikon) findet man unter dem Stichwort "Mäander" den kleinasiatischen, (heute türk. Büyük Menderes nehri) nicht schiffbaren Fluss Maiandros in der westlichen Türkei, rund 400km. Er mündet südöstlich der Insel Samos ins Ägäische Meer. Weiter bezeichnet das Wort Mäander auch das Ornamentband, das meistens aus einer rechtwinklig gebrochenen Linie gebildet wird.

Herkunft des Ornamentbandes Mäander

Der Mäander in der Kunst, ist in der Regel ein rechtwinklig gebrochenes oder auch S-förmig geschwungenes Ornamentband, welches in den verschiedensten Formen vorkommt – ist eine der wichtigsten Ornamentformen der Antike.

In O. Kunkels, "Der Mäander in den vor- und frühgeschichtlichen Kulturen Europas" geht seine Ursprungsform dem Flusslauf abgeschaut auf ein Webe- oder Flechtmuster zurück, das sich schon in der Hallstattkultur und im alten Brasilien feststellen lässt, wo die breiten Schmuckbänder durchwegs mit schrägen mäandroischen Motiven gefüllt sind und nur feinere Bänder den rechtwinkligen "klassischen" Mäander aufweisen. Mäandroide sind mäanderähnliche Formen, meistens schräg oder unterbrochen. Bemerkenswert in der Ornamentik der Brasilianer ist die Tatsache, dass auf kleineren Flächen, beispielsweise auf den Tanzrasseln, die sonst schrägstehenden mäandroiden, haken- oder kreuzförmigen Muster sich gerade richten und rechtwinklig werden. Das geschieht vermutlich deshalb, weil sie sich so besser in den Raum einfügen lassen und auch bequemer herzustellen sind. Daraus kann man schliessen, dass in Brasilien wie in Istrien neben den einfachen Zickzack- oder ähnlichen Motiven als kompliziertes Muster ausschliesslich das echte "klassische" Mäanderband verwendet wurde. Da es weniger Platz einnimmt, ist es für Borten viel besser geeignet als seine breitspurigen Verwandten, die nach wie vor grössere Flächen füllen müssen. Bei einem Versuch wäre schnell ersichtlich, dass sich ein Mäanderband - in dem engen Zwischenraum von zwei Führungslinien – in der "klassischen" Form besser einfügen lässt als in der schiefen. Hierfür gibt es genügend Ornamentträger in Brasilien wie in Istrien, auf denen breite Streifen mit mäandroiden Formen den "klassischen" Mäander als Saum aufweisen. Man fand mäanderförmige Ziermuster bereits im Jungpaläolithikum. Die Formen waren damals vermutlich nicht nur eine Verzierung, sondern hatten eine symbolische Bedeutung. Sie wurden verschiedentlich gedeutet und mit dem Geistesleben der damaligen Kulturvölker in Verbindung gebracht. Auch im osteuropäischen Paläolithikum fand man schon Mäander- oder ähnliche Formen (Mäandroide), meistens in Form von Zeichnungen. Im westeuropäischen Paläolithikum tauchen hingegen mehrheitlich spiralförmige Bänder auf. Eine besondere Blüte erhielt der geritzte oder gemalte Mäander in der neolithischen Keramik, hauptsächlich im Bereich der donauländischen Kulturen. Auch für den Metallguss wurde er in den urgeschichtlichen, metallzeitlichen Kulturen angewandt, wobei man hier auf die reich verzierten bronzenen Schmuckstücke im nördlichen Mitteleuropa und südlichen Skandinavien hinweisen muss.

Seinen eigentlichen Durchbruch erreichte der Mäander jedoch in der griechischen Kunst, dem geometrischen Stil. Unter diesem Einfluss erreichte er auch eine grosse Bedeutung in der Hallstattkultur, von wo er direkt über die griechisch beeinflußte voretruskische Villanova-Kultur und der eigentlichen etruskischen Kunst nach Mitteleuropa gelangte. Für die Griechen wurde der Mäander neben dem Akantusblatt eine der wichtigsten Ornamentformen. Er wurde angewandt auf griechischen Vasen, in der Malerei, auf Textilien und in der Baukunst, mit der gestalterischen Aufgabe zu binden, zu gürten und zu begrenzen. Auch in anderen Kontinenten und Kulturen kennt man schon Mäander oder ähnliche Formen, die jedoch meistens unvollkommen sind.

Symbolische Bedeutung des Mäanders

Für die Griechen war der Mäander ein Gleichnis des natürlichen Lebens. Er ist zielstrebig konstruiert, geradezu mit versteckten Absichten ausgestattet. Denn auch wenn seine Linie immer wieder die Richtung verlässt und sich fast wie eine Spirale um sich rollt, vergisst der Mäander seine Richtung nie. Vielmehr kehrt er immer wieder dorthin zurück, wo es für ihn weitergeht. Auch wenn die Linie mehrfach geknickt wird wie beim "konzentrischen" Motiv oder dem Hakenkreuzmotiv, reisst sie niemals ab. Dies ist ebenfalls ein Gleichnis des Lebens, das auf ein Ziel zustrebt, auch wenn es immer wieder zu verzögernden Umwegen gezwungen wird.

"Die Ursachen bleiben dabei gleichgültig, denn der Mensch erfährt nicht nur Widerstände von aussen. Als ein konfliktgeladenes Wesen erträgt er nur schwer die Monotonie einer immer gleichen Richtung. Wo sich die Linie einwärts wendet, sind jene Stationen markiert, auf denen er sich selbst begegnet, ja begegnen muss, damit er die Gewohnheit ablegt, für alle Verzögerungen die Schuld nur ausserhalb seiner selbst oder bei anderen zu suchen, überhaupt immer nach Schuld und nach Ursachen zu fragen. Zum Ornament wurde der Mäander jedoch erst durch seine regelmässigen Wiederholungen der Windungen. Auch das ist wieder von gleichnishafter Bedeutungen: Der Mensch findet auch zu sich selber durch Ereignisse, die in Form von verschiedenen Problemen, die immer wieder auftreten und uns damit helfen, Schwächen und Stärken zu erkennen. Zudem haben Wiederholungen auch etwas Tröstliches; sie schützen uns vor Verzagtheit oder Panik, denn Umstände, aus denen man keinen Ausweg mehr sieht und man trotzdem wieder herausfindet, verlieren ihre lähmende Macht. In einem bezaubernden Buch unserer Zeit, "Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupéry, legt der Autor dem weisen Knaben das Wort in den Mund: "Geradeaus kann man nicht weit gehen."

"Aber Saint-Exupéry weiss sehr wohl, dass jedes Einzelleben einem solchen Mini-Kosmos gleicht, der zwar alle Gesetze des Ganzen enthält und ihnen folgen muss, aber unentwegt seine engen Grenzen zeigt, die ihn freilich auch zur Heimat machen. Wir erfahren sie schmerzlich oder bedrückt in den Windungen des Mäanders. Alle Menschen, die nur die eine Richtung sehen und an den undurchschaubaren Stationen des kreativen Lebens vorbeieilen, vergessen schliesslich sich selbst.

Manchmal werden sie trotzdem ihr Ziel erreichen, aber mit leerer Seele und blind gewordenen Augen. Sie entdeckten zu spät, dass der Weg mit seinen unvermeidbaren Richtungsänderungen das eigentliche Ziel ist - der im Mäander symbolisierte Lauf der Umwege. Man sollte sich merken, dass die Selbstbegegnungen in den Windungen des Mäanders immer in einen Gegenlauf frischgefundener Stärke schlagen.

"Es wird keinen unter uns geben, der nicht die schicksalhaften Wendungen im Mäander seines Lebens für das Stärkste hielt, einmal weil er darin sich selbst begegnete, dann weil sich der neue Anlauf als schöpferische Kraft erwies. Im Rückblick waren die Umwege, wenn sie uns auch vergrämten, durch Irrtum oder Schuld führten, dann doch die kürzesten Wege. Es besteht auch kein Zweifel, dass die Dynamik sehr bald das hauptsächliche Kennzeichen des Mäanders geworden ist. Er wurde zum wichtigsten Ornament der Antike.